10.02.2019, 14:30 / Stuttgart / Theaterhaus / T3
Saskia Bladt
terra nera. Musik in Szenen (UA)
Klangobjekte und Ausstattung Sophie von Arnim
Kompostionsdramaturgie Martin Spura
Brunnenfräulein Johanna Zimmer
Sigune Susanne Leitz-Lorey
Cundrie Truike van der Poel
Repanse Emily Yabe
Orgeluse Eliane Fankhauser
Parzival Daniel Gloger
Gawain Chasper-Curò Mani
Feirefitz Martin Nagy
Schionatulander Guillermo Anzorena
Clinschor Andreas Fischer
Clauditte Elizabeth Waterhouse
Ehcunat von der wilden Blume Jens Fuhr
So bekannt der sagenumwobene Gralsritter Parzival durch Wagner geworden ist, so sehr hat dessen Oper Parsifal doch zugleich den Blick auf wesentliche Elemente der ursprünglichen Sage, wie sie im Mittelalter besonders durch Chrétien de Troyes (Conte du Graal) und Wolfram von Eschenbach (Parzival) gedichtet wurde, verstellt. Ein Schlüssel zu dieser Ursprünglichkeit kann im später entstandenen Titurel gefunden werden, einem heute eher unbekannten Werk Wolfram von Eschenbachs, das als einer der rätselhaftesten und darum wohl auch spannendsten Texte der mittelalterlichen Literatur gilt. Irritierend und zugleich faszinierend ist die gebrochene Erzählweise, die Zerbrechlichkeit der Figuren, eine radikale Infragestellung der höfischen Welt und damit zusammenhängend die Infragestellungder Heilkraft des Grals, die plötzlich von dunklen Zweifeln und Zerrüttungen überschattet wird. Eine verwundete Welt rückt in den Vordergrund, in der besonders das Scheitern und Nicht- Gelingen hervortreten. Die Protagonisten verirren sich in einem labyrinthischen Dickicht, aus dem es keine Erlösung mehr zu geben scheint. Die reine, lautere Minne offenbart ihre beunruhigende Abgründigkeit. Wir erfahren sogar in allegorischer Form, was das Bedrohliche ist: Das "Wilde" ist gefährlich und rettend zugleich, wobei die Tragik am Ende des Titurel einen Kulminationspunkt erreicht, ohne dass das Befreiende klar hervortreten würde. Es sind alles Elemente, die bereits in den Zwischenräumen des Parzival anklingen (etwa wenn Wolfram die Gralsburg einmal explizit „Wildenberc“ nennt), aber erst durch das heraufziehende Unglück des Titurel aus dem Hintergrund hervortreten.
Dieser noch unbeleuchtete Hintergrund der mittelalterlichen Gralsmythen bildet die Grundlage von terra nerra . Der Klang- und Bildkosmos liefert dabei keine herkömmlichen Antworten, lotet aber das Fragwürdige weitverzweigt aus, um es schließlich in einem Klangprisma zu bündeln. Die 12 Musiker (inklusive einer Tänzerin) spinnen anhand ihrer Stimmen, Instrumente und der vielgestaltigen Klangobjekte ein poetisches Klang- und Bildgewebe, welches die vorgenannten Dynamiken zu Gehör bringt. Die labyrinthischen Wege des Fragens, Suchens, Sehnens, Abirrens und Zweifelns finden ihren Widerhall in dem erklingenden musikalischen Raum. Die Klänge oszillieren vom Heute durch die Musikgeschichte bis ins Mittelalter und vom Geigenton bis zum Klirren eines Glases. So schwingt etwa in den vielfältigen Glasklängen eine kaum aussprechbare Liebessehnsucht mit, die sich – beispielsweise in den dunkleren Momenten – mit kühlen Todes- oder Sterbeklängen aus Metall mischt. Es entsteht ein Klang- und Bildraum, in dem sich alles aus verschiedenen Blickwinkeln heraus betrachten und erfahren lässt – je nachdem, welchem Pfad man als Mitwirkender oder Zuhörer folgt.
Angelehnt an die Geschichte Parzivals sind auf Terra nera 12 Damen, Jungfrauen, Ritter, Edelmänner und sogar ein Zauberer und eine Schamanin zu den Abenteuern des Grals unterwegs. Die trauernde Sigune (Susanne Leitz-Lorey) bei der einsamen Klause unter der Linde findet trotz Gralsspeise keinen Trost. Ihr verstorbener Geliebter Schionatulander (Guillermo Anzorena) strahlt ihr Sehnen und Trauern aus dem fernen, jenseitigen Japan zurück. Der dunkle Zauberer Clinschor (Andreas Fischer) versucht den Seelenbrunnen des Brunnenfräuleins (Johanna Zimmer) zu vergiften und somit auch einen Regenerationsprozess zu untergaben. Auf seiner Schattenburg Schastel marveile trifft sich die in Schwarz gehüllte Tafelrunde zum klagenden Trakl-Madrigal. Hat es die Macht, die zauberhaften Klänge der Gralsträgerin Repanse (Emily Yabe) zum Schweigen zu bringen?
Wie drei Lichtfunken erscheinen in dieser Bedrückung drei Ritter: Parzival (Daniel Gloger) verirrt sich zwar in der Wildnis und verliert immer wieder die Spur, doch er bleibt trotz mancher Krisen seinem Abenteuer unermüdlich treu. Ebenso wie sein schwarz-weißer Halbbruder Feirefiz (Martin Nagy) aus dem Orient. Die ungleichen Brüder werden gemeinsam zur größten Prüfung herausgefordert, ihrem Opus Magnum: der Gegensatzvereinigung. Diesem Werk dient auch der Minne-Ritter Gawan (Chasper-Curò Mani), der Clinschors Zauber-Bann brechen und Orgeluses Herz erobern möchte. Die schöne Orgeluse (Eliane Fankhauser) ist ähnlich tief verbittert und verwundet wie der dunkle Zauberer, mit dem sie einen Pakt geschlossen hat, doch durch Gawan beginnt das Verhärtete zu bröckeln und das Abgespaltene sich an den versunkenen Teil zu erinnern. Cundrie (Truike van der Poel), die hexenhafte Gralsbotin, die zwischen Gralsburg, Wildnis und Sigunes Klause hin und her pendelt, zieht im Hintergrund die Fäden, zerschneidet die alten Bande und versucht neue zu knüpfen, um die große Aventiure auf Terra Nera zum Ziel zu führen.
Damit alle Ringenden und Suchenden auf der Fährte bleiben und sich nicht im labyrinthischen Dornengestrüpp immer tiefere Wunden zufügen, erklingt mahnend und ermutigend die Liebesgeschichte von Ehcunat und Clauditte. Ehcunat (Jens Fuhr), genannt "Herzog von der wilden Blume", bekommt von Clauditte (Elizabeth Waterhouse) einen Hund geschenkt, Gardeviaz, auf dessen mit Edelsteinen bestickter Leine eine Liebesgeschichte eingraviert ist. Diese Geschichte, die tief mit Sigunes und Schionatualnders tragischem Schicksal verwoben ist, entpuppt sich als Schlüssel: bedrohliche Warnung und hoffnungsvoller Aufbruch gleichermaßen.